Vom Streben nach Perfektion
von Sayeda
Warum Perfektion überbewertet wird

Wie Perfektion heute verstanden wird
Vermutlich wird in unserer Zeit nichts mehr gefordert als Perfektion. Wir sollen perfekte Kinder, perfekte Schüler, perfekte Studenten und am Ende perfekte Arbeitnehmer sein. Perfekte Kinder sind artig und machen alles, damit ihre Eltern stolz und zufrieden mit ihnen sind. Perfekte Schüler lernen fleißig, haben super Noten und sind natürlich noch in diversen Gruppen und Wahlfächern aktiv. Perfekte Studenten widmen sich komplett ihrem Studium, das manchmal nicht nur zwei sondern gleich drei Studienfächer umfasst, denn sie wollen ja auf alle Eventualitäten auf dem Arbeitsmarkt gefasst sein. Perfekte Arbeitnehmer erbringen immer die geforderte Leistung, leisten gerne und am besten noch unentgeltlich Überstunden und verlangen am besten so gut wie nie eine Gehaltserhöhung. Mit unseren Kindern geht dieser Kreislauf dann wieder von vorne los.
Uns wird durch die Medien und durch die Gesellschaft eingeimpft, perfekt sein zu müssen, damit uns ein glückliches Leben garantiert ist. Nur, wenn wir in allen Dingen nahezu perfekt sind, können wir uns auf eine aussichtsreiche und glückliche Zukunft freuen. Wer das vorgegebene Tempo nicht mithalten kann, bleibt sprichwörtlich auf der Strecke und wird ausgegrenzt. Perfektion wird also mit Glück gleichgesetzt, wodurch natürlich eine hohe Motivation in uns entsteht. Wir wollen schließlich alle glücklich sein. Also bemühen wir uns, sämtliche an uns gestellten Anforderungen zu erfüllen, lernen, trainieren und kämpfen uns ab, um in Zukunft schön, klug und erfolgreich zu sein. Dabei vergessen wir nur eine essentielle Sache: Uns selbst
Das Streben nach Perfektion führt am Ziel vorbei
Um eines klarzustellen: Nach Perfektion zu streben ist an sich kein falscher Vorsatz. Allerdings ist es ein großer Unterschied, ob man von sich heraus diesen Wunsch hegt, oder vom äußeren Umfeld dazu angetrieben wird. Denn wovon man nicht von Herzen überzeugt ist, wird man früher oder später liegen lassen und nicht weiter verfolgen.
Genau das ist das zentrale Problem: Wir sind so sehr damit beschäftigt, die Wünsche anderer zu erfüllen, dass wir uns selbst dabei außen vor lassen und manchmal gar nicht wahrnehmen, dass wir uns damit unglücklich machen. Wir reißen uns zusammen und üben uns in Selbstdisziplin, damit wir noch eine Stunde mehr beim Lernen verbringen, anstatt einer Tätigkeit nachzugehen, die uns eher am Herzen liegen würde. Wir verkneifen uns den Schokoriegel oder ein Stück Kuchen, um unsere Figur beizubehalten und anstatt zum Feierabend noch Zeit mit Familie oder Freunden zu verbringen, schieben wir Überstunden, um uns eine Beförderung zu sichern.
Das Schlimme an dieser Sache ist: Dadurch, dass wir uns alles angenehme verweigern, ignorieren wir einen wichtigen Teil von uns selbst. Den Anteil unserer Persönlichkeit, der eben nicht ständig perfekt sein und nur funktionieren will, sondern auch einfach mal nur lesen, Musik hören oder Puppen basteln will. Wir beschränken uns nur noch aufs funktionieren und merken dabei gar nicht, wie wir uns selbst unglücklich machen.
Sicher ist es auch nicht leicht, sich diesem Zwang zu entziehen. In den Medien werden uns oft Menschen gezeigt, die mehrere Doktortitel haben, super aussehen und scheinbar problemlos alles unter einen Hut bekommen. Uns wird suggeriert, dass wir nicht genug sind, wenn wir diese hohen Maßstäbe nicht erfüllen können. Das erzeugt ein starkes Gefühl von Unzulänglichkeit und in der Konsequenz; Unsicherheit. Dabei stellt sich niemand die Frage, ob er diesen Tanz überhaupt mitmachen möchte.
Weg von der Perfektion und zurück zu sich selbst
Viele vergessen dabei eine überaus wichtige Sache: Man kann aus diesem Tanz aussteigen und sogar von vornherein entscheiden, gar nicht erst mitzumachen. Wir haben nämlich die Wahl, ob wir diese scheinbare Perfektion wirklich anstreben, oder zu uns selbst finden wollen. Stimmt der Wunsch nach Perfektion mit unseren eigenen Wünschen überein, ist das vollkommen in Ordnung. Hat er jedoch nichts mit uns selbst zu tun und wollen wir damit nur andere glücklich machen, sollten wir uns davon distanzieren.
Wie unterscheidet jedoch man das eine vom anderen? Indem man auf seine Gefühle achtet und in sich hineinhört.
Suche dir dazu ein Thema aus, bei dem es du dir zum Ziel gesetzt hast, so perfekt wie möglich darin zu werden. Führe dir ehrlich und möglichst ungefiltert vor Augen, was dazu nötig wäre, um die gewünschte Perfektion zu erreichen. Welche Gefühle tauchen da in dir auf? Bleibt deine Motivation bestehen oder steigt sie sogar? Freust du dich auf den vor dir liegenden Weg? Oder wirst du angespannt und spürst, dass du lieber etwas anderes tun möchtest? Willst du dich lieber darauf konzentrieren, oder z.B. lieber Sport machen?
Es kann sein, dass du mehrere Male in dich gehen musst, bevor du sicher sein kannst, was dein richtiger Wunsch ist. Es ist aber auch keine Schande mitten auf dem Weg innezuhalten und links oder rechts abzubiegen. Du entscheidest, ob und wie du deinen Weg gehst.
Natürlich bedeutet das nicht, dass man keine Leistung erbringen soll. Es geht darum, sich nicht gänzlich darauf zu reduzieren, da man sich sonst nur ins Unglück reinreitet und langfristig auch seine Gesundheit auf die Art gefährdet.
Die Wahrheit über Perfektion
Zudem sollte man über scheinbar perfekte Menschen folgendes Wissen: Erstens sind sie nicht perfekt, sie scheinen nur so und zweitens sind diese Menschen zumeist ausgesprochen substanzlos. Nach außen hin scheinen sie viel erreicht zu haben, aber genau das ist der Kernpunkt: Sie haben es geschafft, die äußeren Anforderungen zu erfüllen, haben es jedoch komplett versäumt, sich auf ihr Innenleben einzulassen. Das merkt man relativ schnell, wenn man sich mit ihnen unterhält (persönliche Erfahrung).
Im Leben geht es nicht darum, in allem perfekt zu sein. Im Gegenteil, es zeugt von ausgeprägter persönlicher Reife, seine Unzulänglichkeiten zu akzeptieren und als Möglichkeit zum Wachstum zu sehen.
Niemand ist perfekt, auch wenn er so scheint.
Alles Liebe
Sayeda